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Albin Egger-Lienz – Den Namenlosen

Carl Kraus (in: Trotzdem Kunst. Österreich 1914–1918. Ausstellungskatalog, hrsg. von Elisabeth Leopold, Peter Weinhäupl, Ivan Ristic‘ und Stefan Kutzenberger, Leopold Museum, Wien 2014)

Der Erste Weltkrieg wird nicht nur mit Gewehren, Geschützen und Bomben ausgetragen, sondern auch mit einer nie da gewesenen Bilderflut. Die Darstellungen erschöpfen sich jedoch zumeist in Soldatenporträts, Aufmärschen, Patrouillen, Feldmessen, Geschützstellungen in Fels und Eis usw., in Österreich-Ungaren vor allem ausgeführt von den offiziell bestellten „Kriegsmalern“, die im Rahmen des k. u. k. Kriegspressequartiers an der Propagandamaschinerie mitwirken.
Aus diesem konventionellen „Schützengrabenimpressionismus“ ragt ein Künstler mit seinen Gemälden „Den Namenlosen 1914“, „Leichenfelder“, „Missa eroica“ und „Finale“ wie ein erratischer Block hervor: Albin Egger-Lienz.

Der erste Bauer aus „Totentanz“, um 1920/23 (Kirschl Z 561; Bozner Kunstauktionen 29, 19.5.2016, Nr. 61).

Mit dem Thema „Krieg“, im Konkreten mit den Tiroler Freiheitskämpfen von 1809, hatte sich Egger als spätberufener Historienmaler bereits zuvor intensiv auseinandergesetzt. Das unmittelbare Kriegserlebnis und die gewonnene künstlerische Reife führen ihn nun jedoch zu einer neuen inhaltlichen Dimension und steigern seine charakteristische plastisch-monumentale Formensprache zu einer zuvor ungekannten Expressivität. Es sind Werke, die – ähnlich wie Karl Kraus‘ „Letzte Tage der Menschheit“, die ebenso dem „einfachen Soldaten, der namenlos“ (K. Kraus) ist, eine Stimme gegeben wird – als unbarmherzige Zeugnisse für die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ in das kollektive Gedächtnis eingehen.
Dabei beginnt die Beschäftigung Egger-Lienz‘ mit dem Ersten Weltkrieg ganz im Sinne von „für Gott, Kaiser und Vaterland“.

Das Thronfolger-Paar tot. Die Trauer breitet ihre schwarzen Fittiche über die Lande, preßt die Thräne in die Augen der Völker und pocht und rüttelt an jedem, der noch einen Funken an Menschlichkeit in sich trägt. Mit Faust muss man sagen: Der ganzen Menschheit Jammer faßt uns an. Der Thronfolger und seine Gemahlin, der Erbe des Reiches, der Macht und der Liebe der Völker des österreichischen Staates zum angestammten Herrscherhause ist tot, ist erschossen, ist hingemordet von einem gedungenen nationalem Desperade. Wir stehen vor einem Ereignis, das der Chronist nur mit Zittern und Schauern in das große Buch des Geschehens einträgt.“ (Extra-Beilage zum Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 29.6.1914, S. 1)

Die dramatische Nachricht erreicht den 1868 im osttirolischen Stribach geborenen Albin Egger-Lienz in seinem Wohnort St. Justina bei Bozen, in einer Zeit, die wie immer bei ihm ganz von der Arbeit geprägt ist, aber ebenso von Sorgen, ist doch wenige Wochen vorher sein wichtigster Sammler, der Wiener Gastronom Franz Hauer, gestorben. Eine nicht unerhebliche Rolle in der Biografie des Malers spielte allerdings auch der Thronfolger: Dieser vereitelte vier Jahre zuvor aufgrund seines völligen Unverständnisses gegenüber Eggers Kunst dessen Berufung als Professor an die Wiener Akademie.

„Erzherzog Franz Ferdinand (der Tote von Sarajewo) sagte, als der den ‚Totentanz‘ […] zum erstenmal sah, in einer seltenen Scharfsichtigkeit: ‚Wenn das meine Soldaten sehen, gehen sie nicht mit.‘ Es war im Jahr 1909, als der Krieg zum zweitenmal mit Mühe und Not vermieden wurde. Das verdarb Egger die Professur in Wien. Aber Franz Ferdinand sah richtig. Dieser Egger-Lienz war unzähmbar. Nicht zu zügeln. […] War ein unmilitärischer Mensch. Ein Wesen wie das sich bäumende Pferd von Delacroix.“ (Georg Paech, Egger-Lienz. Im Sächsischen Kunstverein, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 25.9.1927)

Die aufgeheizte Stimmung nach der Ermordung des Thronfolgerpaares hält Egger-Lienz nicht davon ab, bereits am 22. Juli nach Längenfeld im Ötztal aufzubrechen, um Studien für eine Neufassung der Arbeit sowie die Alten anzustellen. Nicht einmal eine Woche später, am 28. Juli, geschieht das scheinbar Unausweichliche.

„Kaiser Franz Joseph I. hat nachstehendes Handschreiben und Manifest erlassen […] An meine Völker! Es war Mein sehnlichster Wunsch, die Jahre, die Mir durch Gottes Gnade noch beschieden sind, Werken des Friedens zu weihen und Meine Völker vor den schweren Opfern und Lasten des Krieges zu bewahren. Im Rate der Vorsehung ward es anders beschlossen. Die Umtriebe eines haßerfüllten Gegners zwingen Mich, zur Wahrung der Ehre Meiner Monarchie, zum Schutze ihres Ansehens und ihrer Machtstellung, zur Sicherung ihres Besitzstandes nach langen Jahren des Friedens zum Schwerte zu greifen.“ (Innsbrucker Nachrichten, 29.7.1914, S. 1)

Der Kriegsausbruch, der sich durch die europäische Bündnisautomatik in rascher Folge zum Weltkrieg ausweitet und alle Lebensbereiche durchdringt, zieht auch Egger-Lienz in den Bann, so dass er nach zwei Wochen den Studienaufenthalt in Längenfeld abbricht und zur Familie nach St. Justina zurückkehrt. Zunächst kann er sich von den hereinstürzenden Ereignissen noch relativ unbehelligt den begonnenen großen Kompositionen, „Der Mensch“ und „Die Alten“, widmen. Andere, wie seine Tiroler Malerkollegen Max von Esterle und August Frech, stehen im August 1914 mit dem Tiroler Landsturm-Regiment II bereits an der galizischen Front und erleben eine der ersten katastrophalen Niederlagen der k. u. k. Armee im Ersten Weltkrieg mit.

„Niemand von uns hätte erwartet, auf seine alten Tage noch dieses Übermaß von körperlichen und seelischen Strapazen ertragen zu müssen. Es ist ungeheuerlich, was der Krieg vernichtet, – u. trotzdem habe ich den bestimmten Eindruck einer ganz verdienten Bestrafung. Wir waren jetzt in zwei großen Schlachten, die Hälfte der Mannschaft u. der Offiziere sind weg [1.800 von 3.600], unsre Kräfte nehmen ab, rings ist das Land von uns selbst zerstört.“ (Max von Esterle, Brief an Ludwig von Ficker, 18.9.1914)

Mit der „ganz verdienten Bestrafung“ deutet Esterle eine um die Jahrhundertwende von vielen Intelektuellen vertretene These an. Bereits im ersten Manifest des Futurismus 1909 spricht Filippo Tommaso Marinetti vom Krieg als „einzige Hygiene der Welt“, als unumgängliche Reinigung der rückwärtsgewandten, materialistisch eingestellten, genügsamen bürgerlichen Gesellschaft. Auch andere Künstler glauben daran und melden sich als Freiwillige an die Front: August Macke (fällt im September 1914 in der Champagne), Franz Marc (fällt im März 1916 bei Verdun), Otto Dix (der spätere Antikriegsmaler), Oskar Kokoschka (nach der Trennung von Alma Mahler), Fortunato Depero (der Trentiner Futurist) usw.

„Das Erleben dieser ganzen Zeit […] kann ich nur einem großen Liebesabenteuer vergleichen, so erschüttert und entselbstet es mich. Es ist ein großes Glückgefühl, außer sich zu sein, erlöst von sich. Und dies Größere ist etwas Wahres, keine bloße Idee.“ (Ernst Barlach, Brief vom 29.8.1914)

Die Gesamtbilanz des „Sommerfeldzuges“ der k. u. k. Armee in Galizien: Aufgrund falscher Einschätzungen und des veralteten Kriegsmaterials sind von den 800.000 Soldaten 250.000 gefallen, verwundet oder vermisst, 110.000 geraten in Gefangenschaft, dazu ein enormer Verlust an Kriegsgerät.

Vor dem Hintergrund von Ereignissen wie diesen reift in Egger-Lienz bereits im November 1914 die Idee zu einem ersten monumentalen Bild zum Weltkrieg. Es ist fürwahr ein „großer“ Stoff, der für Egger stets die Basis für „zeitlose“ Kunst darstellt.

„‚Die monumentale Form‘, die Vergeistigung des Stoffes zum Symbol; ohne jedoch dem geschichtlichen Geschehen den Boden, auf dem es sich aufzubauen hätte, zu entziehen, vielmehr den Stoff als das befruchtende, durchsetzende, formzeugende Element anzusehen.“ (Egger-Lienz, Brief an Dr. Eisler, 26.2.1917, zit wie auch die folgenden Briefe nach Kirschl)

Das erste Werk zum „Großen Krieg“, von dem eine Ausführung nicht bekannt ist, schwebt ihm dabei als unmissverständlich patriotisches „Propagandabild“ vor und macht augenscheinlich, welch langen Weg Egger-Lienz als Maler des Krieges noch gehen wird.

„Ich habe nun vor, eine neue große Schwarte zu malen, die größte bis jetzt: ‚Der Krieg 1914‘, Deutschland-Österreichs Aufmarsch zum Sturm; in der Mitte foraus der hl. Michael, Schwert u. Wage schwingend (ganz Gold, Harnisch).“ (Egger-Lienz, Brief an Otto Kunz, 3.11.1914)

In der Zwischenzeit sieht sich der Maler in Bozen zunehmend mit den wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs konfrontiert, da wie vieles andere der Kunstmarkt einbricht – Ausstellungsstätten wie das Künstlerhaus und die Secession in Wien werden in Behelfslazarette umgewandelt – und das Fehlen des ehemaligen Gönners Franz Hauer umso spürbarer ist. Aufgrund der prekären finanziellen Lage aber auch des Gefühls der Isolation überlegt Egger sogar nach München zu übersiedeln, für ihn und seine Kunst „der richtige Boden“, möchte aber zuvor noch zuwarten, bis der Krieg zu Ende ist und in Bozen auch seinen Zyklus zur Schöpfung zu Ende bringen.
Der Krieg geht jedoch unvermittelt ins nächste Jahr, und die Hoffnung, dass der Frühling „Friedensaussichten“ (Egger-Lienz, Brief an Franz Bunke, 24.12.1914) bringt, wird sich noch mehrere Jahre wiederholen.
Vielmehr wird für Egger-Lienz täglich wahrscheinlicher, dass er mit seinen Jahrgängern eingezogen wird, so dass er sich Ende April, aus gutem Grund, zu den Tiroler Standschützen meldet.

„Ich bin hier auf Anraten Zeillers [Bildhauer Ottomar Zeiller] bei den Standschützen eingetreten, weil diese bestimmt im Lande bleiben, wohl aber militärisch ausgerüstet werden. Man ist mir entgegenkommend und der Gefahr, daß man mich aus der Schützencompagnie aushebt und nach Galizien comandiert, wird wohl vorgebeugt werden.“ (Egger-Lienz, Brief an Otto Kunz, 10.5.1915)

Eggers Angst vor Galizien ist verständlich, kommt es hier doch weiterhin zu ungeheuerlichen Verlusten, darunter dem Fall der Festung Przemysl am 22. März 1915 mit der Gefangennahme von neun Generälen, 2.593 Offizieren und 117.000 Mann – unter ihnen Max von Esterle und August Frech, deren folgende sibirische Gefangenschaft sechs Jahre dauern wird. Wie viele Bilder sind dabei ungemalt geblieben, was wäre alles nicht entstanden, wenn Egger-Lienz dieses Schicksal geteilt hätte …

Noch im Mai wird das „Vormerkblatt des k .k. Standschützen-Ba[taill]on Bozen“ für Egger-Lienz ausgefüllt.
„Charge: Standschütze / Name: Prof. Egger Albin Lienz / Geburtsjahr: 1868 / Religion: kath / Stand: verheiratet / Beruf: Akad Maler / Schulbildung: Volksschule – Akademie in München / Geburtsort: Striebach / Zuständigkeitsort: Bozen / immatrikuliert beim Schießstande: k.k. Hauptschießstand Bozen Erzh. Eugen / hat militärisch gedient bei: II. Landsch. Reg. / erreichte Charge: Ers. Res. / Als Standschütze eingerückt am: 19. Mai 1915 / Eingeteilt zur: 1 Komp. zur Frontabgrz. am 20. Mai 1915 / Dienstverwendung: Feld-dienst“

Die „Persons-Beschreibung“ findet sich bereits im „Unter-Abtheilungs-Grundbuchsblatt“ von 1891.
„Haare: braun / Augen: grün / Augenbrauen: braun / Mund: regulär / Kinn: regulär / Angesicht: oval / Besondere Merkmale und etwaige Gebrechen nach dem Assent-Protokolle: Körperschwäche / Spricht: deutsch / Schreibt: dto / Körpermaß in Metern: 1.68 / Größenclasse der Fußbekleidung: 12“

Am 20. Mai kommt Egger-Lienz mit seiner Einheit an die Grenze am Gardasee, zuerst in das Dorf Campi nordwestlich von Riva und von dort in die nahegelegene Bergfestung Tombio. Bereits zwei Tage nach der Ankunft – der Maler ist zur Schanzarbeit und zum Maskieren von Kasematten eingeteilt – erklärt das bisher verbündete Königreich Italien Österreich-Ungarn den Krieg.

Die Kriegserklärung Italiens. Wien, 23. Mai. […] Italien gab am 4. Mai der österreichisch-ungarischen Regierung die schwerwiegenden Gründe bekannt, weshalb Italien im Vertrauen auf sein gutes Recht den Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn, der von der österreichisch-ungarischen Regierung verletzt wurde, für nichtig und wirkungslos erklärt. […] Der König betrachtet sich von morgen ab als im Kriegszustande mit Österreich-Ungarn befindlich.“ (Bozner Zeitung, 25.5.1915, S. 1)

Egger-Lienz berichtet seiner Frau von seinem Aufenthalt in der Festung Tombio:
„Ich war mit den Standschützen 14 Tage in der Feuerlinie in der vordersten Front […], mitten im Kanonendonner, von unserem Fort wurde auch geschossen. Die Besatzung, der auch ich angehörte, hat jedoch nicht einzugreifen gebraucht. Es war aber alles in Bereitschaft. Unsere Grenzen sind derart befestigt, daß die Walschen niemals herein können, ohne immer blutig zurück zu müssen.“ (Egger-Lienz, Brief an Laura Egger-Lienz, 14.6.1915)

Nach diesen zwei Wochen attestiert ein Militärarzt Egger eine „Herzschwäche beim Aufwärtsgehen“ – die Prominenz als renommiertester Tiroler Künstler war zweifellos hilfreich – , so dass er subarbitriert und vom Kriegsministerium als künstlerischer Beitrat im Kriegsfürsorgeamt nach Bozen kommandiert wird: „Ich werde nur künstlerisch zu tun haben [als] Civilist, als welcher ich dem Vaterland mehr leisten kann.“ (Egger-Lienz, wie oben)

Zu diesen patriotischen „Kunstdiensten“ zählen in erster Linie Entwürfe für Kriegspostkarten sowie Illustrationen für die „Tiroler Soldatenzeitung“, deren Zielvorgabe auch unter der Redaktion Robert Musils (Juli 1916 bis April 1917) lautet:
„Herzhaft muß sie bleiben, trockenen Witz und tüchtigen Ernst beibehalten, den Feind hassen und Kaiser und Vaterland lieben.“ (Tiroler Soldatenzeitung, 6.8.1916, S. 3)

Die Motive entsprechen dabei großteils den gängigen verharmlosenden Darstellungen, wie sie u. a. auf den zahlreichen „Kriegsbilderausstellungen“ des k. u. k. Kriegspressequartiers ab Herbst 1915 gezeigt werden: Abschied, Dolomitenwacht, Rast der Patrouille in den Dolomiten, Maschinengewehr auf 3000 Meter Höhe, Tiroler im Feuerkampf, Feldpost im Hochgebirge, Der Älteste und der Jüngste, Verehrung einer Kaiserbüste usw. Dabei greift der Künstler zum Teil auf eigene ältere Arbeiten zurück, z. B. an „Ave Maria nach der Schlacht am Bergisel“ (1894/96) und „Haspinger Anno Neun“ (1908/09). Bei manchen der Werke wendet er auch seinen Parallelismus in Hodler‘schem Sinne an wie beim Neuschnee in den Dolomiten, bei dem die Balken tragenden Soldaten wie bei einer Tanzaufführung wirken.

Ebenso rhythmisiert, aber mit weit martialischerer Wirkung ist der Aufmarsch der „Helden“ im gleichnamigen Gemälde und in der Lithografie 1915, die der Künstler im Auftrag der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst in Wien gestaltet.

„Österreichs und Deutschlands Volk in Waffen schiebt sich als eine unbesiegbare Macht, eine undurchbrechliche Mauer, den Feind vor sich her. Ich mußte auf intime Charaktersierung der Menschen verzichten, wenn das ‚Symbolische‘, um das es sich bei so einer Sache immer dreht, wirksam werden soll. Entschlossenheit, Kraft, beflügelter Schritt usw.“ (Egger-Lienz, Brief an Heinrich Hammer, 5.11.1915)

Von der forcierten Stilkunst der Helden lösen kann sich der Maler, als er als „Kriegsmaler in Zivil“ im Jänner/Februar 1916 in Folgaria nahe Rovereto in einer fein ausbalancierten Mischung aus Konstruktion und Spontaneität österreichische Stellungen im felsigen Gebirge festhält. Im Mai widmet er ebenso dem Aufmarsch der Österreicher beim Castello del Buonconsiglio in Trient ein Gemälde und hat anschließend die Gelegenheit der österreichischen Offensive bei Aldeno südlich von Trient beizuwohnen.

Unsere erfolgreiche Offensive gegen Italien […] Weitere italienische Stellungen erobert. 12 Offiziere und über 900 Mann gefangen genommen, 18 Geschütze und 18 [weiter unten ist von 1800 die Rede] Maschinengewehre erbeutet. Italienische Lügen über ‚schreckliche und ungeheuere‘ Verluste unserer Truppen, um den Eindruck des eigenen Rückzugs abzuschwächen.“ (Bozner Zeitung, 19.5.1916, S. 1)

Ganz anders sind die Eindrücke, die Egger-Lienz wahrnimmt und in seinem Aufsatz Das Kriegserlebnis des Künstlers niederschreibt. Für das Grauen der Totenfelder findet er keine Worte, sondern nur noch Gedankenstriche.

„Die Schlachtfelder auf den ausgedehnten Höhenkuppen vom Col Santo und Coston glichen einem aufgeackerten Brachfelde, die Spuren alles Menschenwerkes sind da ausgelöscht. Schützengräben, Befestigungswerke, wo sind sie? Es war ein großer Sturm und der hat alles gleichgemacht. Da ein zur Spirale verbogenes Gewehr, da eine Ansichtskarte – da – ein Stahlhelm, und da – – da – – –“ (Frankfurter Nachrichten und Intelligenzblatt, 1.8.1916)

Aus diesem unmittelbaren, prägenden Erlebnis heraus gestaltet Egger in der Zurückgezogenheit seines Ateliers seine Kompositionen „Den Namenlosen 1914“, „Leichenfelder I-IV“, „Missa Eroica“ und „Finale“.
Wilfried Kirschl hat in seiner Egger-Lienz-Monografie die Entstehungsgeschichte dieser Werke detailliert nachgezeichnet, wie der Künstler das eine Werk aus dem anderen entwickelt und mit dem „Finale“ einen letzten, nicht mehr zu überbietenden Schlusspunkt setzt.
In dem mehrfach überarbeiteten, 243 x 475 cm großen Monumentalbild „Den Namenlosen 1914“ – der ursprüngliche Titel „Uhnow 1914“ bezog sich auf die verlustreichen Schlachten in Galizien – zieht der Maler gleichsam die Summe seiner bisherigen Kriegsbilder, von Das „Kreuz“ (1898–1901) über „Haspinger Anno Neun“ (1908/09) und „Helden“ (auch: Der Krieg) (1915/16) bis zu dem unmittelbaren Vorgänger des Gemäldes, „Uhnow 1914“ (1915). Zugleich findet Eggers charakteristischer langwieriger, oftmals über Jahre sich erstreckender Arbeitsprozess, das Verdichten von bisher Erreichtem eine exemplarische Umsetzung. Sowohl die Parallelität der Figuren als auch die der Dynamik dienenden Diagonalstruktur sind bereits im „Kreuz“ im Ansatz gegeben, voll ausgeprägt dann im „Haspinger“. Jegliche Weichheit in der Formgebung, alles Konventionelle und Klischeehafte, welches in Eggers Werken der mittleren Schaffensphase zuweilen mitschwingt, weicht nun aber einer kompromisslosen Durchbildung im Sinne des Ausdrucks. Egger ist selbst überzeugt, dass „mein Wollen noch nie in solch klarem Einklange mit meinem künstlerischen Vermögen“ (Brief an Dr. Eisler, 26.2.1917) stand. Und in einer losen Bleistiftnotiz drückt er aus, was sein grundsätzliches Anliegen in „Den Namenlosen 1914“ ist.

„Das Keuchen der Not, des bis zum höchsten Kraftwillen angestrengten Menschen – ‚die Tat‘ ist es, die uns und unseren Enkeln den schauerlichen Hauch unserer Zeit einstens vergegenwärtigen kann.“

Als das Bild 1917/18 auf Ausstellungen in Bozen, München, Innsbruck und Wien gezeigt wird, gilt es als vielfach „Sensation“.

„Und doch faßt uns auch aus den gegebenen [engen Raum-]Verhältnissen heraus der Eindruck dieser fürchterlichen Sturmwellen, die in rhythmischer Wiederholung wie eine gewaltige Fuge daherbrausen. In jedem Gesicht ein Teil der wilden, losbrechenden Urkraft, jede Bewegung im Banne des großen Rhythmus, in jedem Rücken eine Welle der großen Woge, die hinter dem hohen Horizont wieder neu aufscheinen muß, sobald die vorderste gebrandet sein wird!“ (Josef Garber, Die Kaiserjäger im Weltkriege. Zur Ausstellung in den Stadtsälen, in: Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 31.1.1918, S. 1)

Zur Eröffnung der Ausstellung „Die Kaiserjäger im Weltkriege“ am 2. Februar 1918 in Innsbruck kommt Kaiser Karl persönlich.

„Im Anschluß an ihre Werke, vor denen die Künstler Aufstellung genommen hatten, zog der Kaiser auch diese ins Gespräch, vor allem jene, die Seiner Majestät schon bekannt waren […]. Professor Albin Egger-Lienz hatte vor seinem Kolossalgemälde Gelegenheit, die leitenden Gedanken und die ihn bewegenden Motive Seiner Majestät vorzulegen.“ (Österreichische Illustrierte Rundschau, 1918, Nr. 47, S. 919)
Ob der letzte österreichische Kaiser für das Gemälde mehr Verständnis aufbrachte, als ein Jahrzehnt zuvor der damalige Thronfolger beim „Totentanz“? Erworben wird es vom Heeresgeschichtlichen Museum jedenfalls erst ein Jahrzehnt nach dem Tod des Künstlers (1926 in St. Justina).

Noch drastischer als in den vorwärtsstürmenden anonymen Soldatenmaschinen in „Den Namenlosen“ kommt der „schauerliche Hauch“ des Krieges in den geschichteten Toten der „Leichenfelder“ und „Missa Eroica“ (letzteres von Egger später zerschnitten) und vor allem in den grauenvoll verrenkten Leichen des „Finale“ zum Ausdruck. Mit diesen Werken tritt der Maler erst nach dem Krieg an die Öffentlichkeit, das „Finale“ wird erstmals 1919 in Zürich ausgestellt. Die Resonanz ist wiederum eine gewaltige, selbst in Frankreich zollt man Eggers Kriegsbildern höchste Bewunderung.

„Hat Frankreich einen Maler des Krieges, wie es in der Literatur einen Barbusse und einen Roland Dorgelés besitzt? Ich kenne keinen. […] Österreich aber hat einen, der den Schrecken des Gemetzels erfasst hat und den die Reihe seiner vorangegangenen Arbeiten auf dieses Werk vorbereitet hatte: A. Egger-Lienz […]. Die zwei letzten Werke sind, wie ich meine, die größten und schönsten. ‚Missa eroica‘ zeigt uns einen Granattrichter, verlorene, liegengelassene Männer, schmerzverkrümmt, mit der Erde eins geworden. Dann dieses ‚Finale‘ […], in einer grünlichen, einheitlichen Tonigkeit, ausgelöscht, verwischt wie der Tod, intensivster Ausdruck der Nutzlosigkeit, der Absurdität des gigantischen Mordens.“ (A. du Brief, Egger-Lienz, in: Journal du Peuple, Paris, 5.11.1927)

Im Gegensatz zu den Werken von Otto Dix oder Georges Grosz, aber auch, um bei österreichischen Künstlern zu bleiben, zu den Zeichnungen von Klemens Brosch, entstehen Eggers Kriegsbilder nach dessen Selbstverständnis nicht als Bilder der Anklage, wenn auch ihre Wirkung eine solche ist, nicht anders als wie bei Gerhart Frankls Zyklus „In Memoria“ (1964/65), welcher den in den NS-Konzentrationslagern verhungerten und ermordeten Gefangenen gewidmet ist. So ist es bezeichnend, dass das von Egger 1925 auf der Basis seiner vorgegangenen Kriegsbilder gestaltete Kriegerdenkmal in Lienz zunächst vehement abgelehnt wird. Und ebenso bezeichnend ist, dass bei der Egger-Lienz-Ausstellung in der Wiener Galerie Welz 1940/41 das „Finale“ in einem gesonderten Raum und außer Katalog gezeigt wird, da man Aufsehen wegen seines latent „wehrkraftzersetzenden“ Charakters befürchtet (vgl. Kohlfürst 1999).

„Denn über alle Schmach des Krieges geht die der Menschen, von ihm nichts mehr wissen zu wollen, indem sie zwar ertragen, daß er ist, aber nicht, daß er war. Die ihn überlebt haben, ihnen hat er sich überlebt, und gehen zwar die Masken durch den Aschermittwoch, so wollen sie doch nicht aneinander erinnert sein.“ (Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, Wien 1922, Vorwort)

Eggers Auseinandersetzung mit dem Krieg endet nicht mit dem Kriegsende. Erfährt in den an den „Totentanz Anno Neun“ anschließenden „Blinden“ (1918/19) das Sich-in-das-Schicksal-Fügen, die Ausweglosigkeit des Menschen eine weitere Steigerung, so stellt der „Protest der Toten“ (1920–25) eine „zwar pazifistische, aber gänzlich untendenziöse Demonstration der Toten des Krieges gegen den Krieg“ (Adalbert Muhr, Gespräch mit Egger-Lienz, in: Neues Wiener Journal, 22.8.1925) dar. Mit den „Kriegsfrauen“ (1918–22) thematisiert der Künstler schließlich einen sonst weitgehend verdrängten Aspekt: In der desillusionierenden Erkenntnis, dass der Krieg für sie ein Erdulden ohne jegliche Mitsprache war, in der Trauer um ihre in den Schlachtfeldern umgekommenen Männer und Söhne erstarren die Frauen zu schmerzverzerrten hölzernen Masken.

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