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Albin Egger-Lienz (1868–1926)

Carl Kraus (in: Carl Kraus, Zwischen den Zeiten. Malerei und Graphik in Tirol 1918–1945, Bozen-Lana 1999)

Zahlreich sind die Etiketten, die Albin Egger-Lienz verliehen wurden: später Historienmaler, Bauernmaler, Heimatkünstler, Blut- und Bodenmaler. Oberflächlich betrachtet besitzen sie auch einen gewissen Wahrheitsgehalt. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass Egger vor allem auch ein unablässig Suchender nach neuen Ausdrucksformen ist. Er selbst hat durch seine auf „Programmbilder“ konzentrierte Ausstellungspolitik und seine apodiktischen Aussagen – legendär ist sein Hodlerstreit – zum Teil die klischeehafte Einengung seines Werks gefördert und negativ verstärkt. So lässt der Maler von den Vertretern der internationalen Moderne kaum jemanden gelten. Ihre Werke sind für ihn formale Spielereien ohne inhaltlich-geistige Botschaft: „Am Stoff entzünde sich das Temperament, aber nicht an den etwa verborgenen Möglichkeiten einer Kunstform. Der erstere enthält schon an sich die volle Ursprünglichkeit und die gemäße Form, wird durch das ‚Müssen‘, die Liebe, zur Kunst, während die Kunst, welche nur von der Kunst kommt, nur Fascination und Luxus ist. ‚Technik‘. Der große Hintergrund, die Bewunderung, die Schauer der Begeisterung, die Liebe werden allein wieder wahre Werke der bildenden Kunst hervorbringen. Die Anwendung verschiedener Kunst- od. Form-Mittel erscheint mir Nebensache, insoferne sie dem Stoffe zusagen od. aus ihm geboren sind“ (zit. nach Kirschl). Doch: „Mein letztes Bild ‚Auferstehung‘ kann ich mir z. B. ohne das Lichtproblem (nicht Impressionismus) nicht denken.“ Und an anderer Stelle weist Egger daraufhin, dass er keine Bauern sondern Formen male.

Der Sämann – Das Ackerland – Der Mäher, 3 Zeichnungen zum Triptychon „Erde“, 1912 (Kirschl Z 331–333; Bozner Kunstauktionen 33, 26.5.2018, Nr. 359).

Gerade das unerbittliche Ringen um das „Problem der reinen Form auf konsequenter Basis der Organischen Natur“, die Verdichtung der Naturform zum „Stil von Innen heraus“ – wobei sich, entgegengesetzt zu Eggers Aussagen, durchaus Bezüge zur Avantgarde, etwa zu Cézanne und Beckmann ergeben – haben den Maler insbesondere seit der Kriegszeit zu immer eindrucksvolleren Leistungen geführt. Dies gilt für seine großen Kompositionen, nicht weniger aber auch für seine von ihm selbst als Nebenprodukte angesehenen Werke: für die großartigen expressiven Kriegsbilder und die parallel dazu entstehenden still-verhaltenen Porträts der jüngsten Tochter Ila etwa. Streng frontal, symmetrisch und in einer bedächtigen, fast altmeisterlichen Malweise ausgeführt, wirken diese Bildnisse besonders feierlich und überzeitlich klassisch – zeitloser als so manches seiner als „ewig“ gedachten, mit Intentionen überladenen Monumentalwerke. Zu diesen freien malerischen Schöpfungen zählen ebenso die beiden Bozner Landschaften „Sigmundskron“ und „Am Kalvarienberg“. Auch hier findet der Maler über den für ihn typischen intensiven Umwandlungsvorgang des Naturbildes zu einer klassisch ruhigen Komposition von großer Ausgewogenheit, farblich im von satten Braun- und Ockertönen dominierten Kolorit des Spätwerks gehalten. Die häufig konstatierte Nähe der Landschaften und Ila-Porträts zur Neuen Sachlichkeit bzw. zum italienischen Neorealismus ist jedoch keine Teilnahme an einer Zeitströmung, sondern letztlich nur aus dem ganz persönlichen Schaffen des Künstlers heraus zu erklären. Nicht zufällig aber zollt Carlo Carrà, der dem Werk des „nordischen“ Künstlerkollegen mehrere Aufsätze widmet, diesem „klassischen“ Werkkomplex in Eggers Schaffen seine größte Bewunderung.

Nach den „Kriegsfrauen“ schwächt der Maler auch in den monumentalen Kompositionen die weit vorangetriebene expressive Deformation wieder ab und findet zum großen kontemplativen Stil der „Gedankenbilder“: von den „Generationen“ und „Mütter“ über die „Auferstehung“ bis zum großartigen Schlusspunkt „Pietà“. Gleichsam die Summe seiner bisherigen Lebensarbeit ziehend, verschmelzen nun Expression und Wirklichkeitsnähe, Statik und Bewegung, räumlich-plastische Formgebung und malerischer Luminarismus zu einer neuen Einheit. Alles Gewollte und Gesuchte, Klischeehafte und Effektvolle, das seinen Arbeiten der mittleren Phase mitunter anhaftet, wandelt sich nun zu größter Selbstverständlichkeit.

Eggers Überzeugung von der Unterordnung der gestalterischen Mittel unter einen „großen Stoff“ erlangt in diesen „Bildern zuständlicher Versunkenheit“, wie er sie selbst nennt, eine neue Tiefe. Eingebunden in ihr schicksalsgeprägtes Dasein, erscheinen die Gestalten wie entrückt, wie nicht mehr von dieser Welt, Spiegel sowohl der von religiösem Empfinden getragenen bäuerlichen Wesensbeschaffenheit als auch der Verinnerlichung, zu der der Maler gelangt ist: „Religiosität im strengsten Sinne wendet das Empfinden für weltläufige und in diesem Sinne bestehende Ordnungen zu einer gewissen außerweltlichen Insichgekehrtheit. Daher oft das scheue Wesen der Bergbewohner dem Weltmanne gegenüber, was so durchwegs wie Mißtrauen, Verschloßenheit oder gar Beschränktheit genommen wird!“

Egger, dessen Kompromisslosigkeit mehrmals eine Berufung als Professor an die Wiener Akademie verhinderte, hat sich mit seinem Alterswerk vom allgemeinen Publikumsgeschmack weit entfernt. Der „Auferstandene“ in der Kriegergedächtniskapelle in Lienz ruft heftigste Kontroversen hervor, die wie erwähnt 1926 mit dem Interdikt enden. Nicht weniger zwiespältig wurde zwei Jahre zuvor seine Einzelausstellung im Kunstsalon Unterberger in Innsbruck – die erste umfangreiche Präsentation hier seit der Landesausstellung 1909 – aufgenommen. „Er zeigt in seiner gegenwärtig tagenden Ausstellung einen ‚Christus‘“, so ein Innsbrucker Rezensent, „der schon mehr eine Gotteslästerung als erbauende Figur genannt werden könnte, bei den ‚Kriegsfrauen‘ ein Weib am Spinnrad mit der Hand in der Luft, in der sich der Beschauer den Rocken dazudenken muß, naiv gemalte Wandbänke im Hintergrunde, großteils verzeichnet, so die meisten anderen Bilder, die samt und sonders schablonenhaft in Farbe und Auffassung, nur Abwechslung bietend durch verrenkte Gliedmaßen oder ungestalte und verzeichnete Grobknochen, Staunen auslösen, dabei aber mehr verblüffend, abschreckend und anwidernd wirken […].“

Mit Eggers Tod im November 1926 verliert Tirol seine zentrale Künstlerpersönlichkeit. Keiner seiner Malerkollegen war so weit an jenen Punkt, an dem der Künstler ganz hinter sein Werk tritt, herangekommen wie er. Als führende Figur innerhalb des Tiroler Kunstgeschehens gilt nun am ehesten Artur Nikodem, der insbesondere in Deutschland Beachtung findet. Mit Egger verglichen wird aber am häufigsten Friedrich Hell, für Max Weiler ähnlich Egger-Lienz „ein Berg“, nicht leicht zugänglich, aber von großartiger evokativer Kraft.

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